"Tatort" Köln: Nicht noch ein Mord (2024)

Aus der Serie: Der Obduktionsbericht

Im neuen Kölner "Tatort" geht es um vertuschte Verbrechen. Und einen Kommissar, dem die Liebe in die Ermittlungen reinfunkt. So richtig nahe geht einem das aber nicht.

Eine Rezension von Matthias Dell

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"Tatort" Köln: Nicht noch ein Mord (1)

Nicht schon wieder ein Fenstersturz, um dasPublikum in den Schwitzkasten des Mitleidens zu nehmen, möchte man denBildschirm nach gut einer Stunde anseufzen. Aber Diesmal ist es anders(WDR-Redaktion: Götz Bolten). Das ist nicht nur der Titel der neuen KölnerFolge, sondern auch die Wahrheit beim Fenstersturz. Hier springt niemand soüberflüssig in den Tod wie vergangene Woche im HallenserPolizeiruf Lehrer "Jesus" Krein, weil gewisse Auskünfte,helfende Worte es einfach nicht in Drehbuch geschafft haben.

Das stammt in Köln von Wolfgang Stauch, einem Routinier derReihe, der mit seinem 13. Fall den Sprung unter die Top 15 schafft, unter denensich mit Dorothee Schön (Platz 11, 17 Drehbücher) genau eine Frau befindet.

Der Tatort fängt ein bisschen an wie Wienvor ein paar Wochen: Geburtstag, Getanze, Geturtel, und Ballauf (Klaus J. Behrendt), der alte Borderliner, der wegen seines nicht gelingendenLiebeslebens von den Kollegen "Streuner" genannt wird – Ballauf ist inlove. Mit Nicola Koch (Jenny Schily), die für ein Stadtmagazin-ähnlichesPrintprodukt mit dem etwas mühsamen Titel Cologne Alive arbeitet, dasdefizitär ist und öfter die Schlagersängerin und Jugendhilfe-UnterstützerinMariella Rosanelli (Leslie Malton) featurt. Über Schlagermusik muss sichKommissar Schenk (Dietmar Bär) abfällig äußern, denn wer was auf sich hält inder deutschen Hochkultur, muss sich fortwährend schämen für die populärstehiesige Popmusik.

Mit der Rosanelli ist Nicola wiederum dicke seit Langem, wasaber erst später rauskommt. Beide teilen ein Geheimnis. Die Reise in dieVergangenheit löst der gewaltsame Tod von Peer Schwarz aus.Alleinstehend und arbeitslos, finanzierte sich der gewesene Journalist seinansprechendes Apartment durch Erpressungen. Etwa durch kompromittierendesMaterial aus der Vergangenheit der Rosanelli, das deren Image als Wohltäterinder Jugendhilfe zu beschädigen droht.

Die Schlagersängerin war wie BallaufsLiebe Nicola Koch 25 Jahre früher Betreuerin in einem Chorlager, bei dem dercharismatische und "manipulative" (Rosanelli) Chorleiter Philipp PohlSchutzbefohlene missbrauchte. Die beiden Betreuerinnen halfen damals, dasVerbrechen zu bemänteln, das etwa Sandra Jürgens (Brigitte Zeh) völlig aus derBahn geworfen hat.

Diesmal ist es anders rekonstruiert die alteGeschichte durch parallel geschnittene Befragungen der damals Beteiligten(Montage: Kai Minierski). Spannung entsteht zuerst im privaten Umfeld desverliebten Kommissars. Denn Ballauf findet heraus, dass der Carsharingwagen,mit dem Peer Schwarz umgefahren wurde, zur Tatzeit von Nicola gemietet wordenwar. Das tut Ballauf nicht auf offiziellem Wege, sondern mit Unterstützung vonLangzeitfreundin Lydia Rosenberg (Juliane Köhler).

Was ja immer so eine Sache ist, dass der verwickeltePolizist auf eigene Rechnung ermittelt. Einerseits gibt es im echten LebenLeute bei der Polizei, dienicht nur machen, was der Dienst vorschreibt, andererseits gelingt es dem ARD-Sonntagabendkrimifast nie, die Ambivalenz der Privatinvestigation so gut darzustellen, wie dasetwa die britischeSerie Criminal Record auf Apple TV+ kürzlich geschafft hat. Dacheckt die Protagonistin, die Polizistin June Lenker, gleich zu BeginnKennzeichen von Autos, die vorm Haus ihrer nervenden, paranoiden Mutterherumstehen, was der Ermittlerin bei einer internen Untersuchung späterProbleme bereiten wird. So einfach lässt sich das plausibel erzählen, dieKomplexität der Figur erhöhen und Spannung verschärfen.

In Diesmal ist es anders wird Ballaufs Solonummer immerhindurch Liebe motiviert. Dafür hat sich der Tatort ein markantes Mitteleinfallen lassen – in Szenen zwischen Kommissar und Journalistin sind auchGedanken zu hören, die vor allem er sich macht. Eine gute Form, um Zweifel zurSprache zu bringen, das Ungesagte mitzubekommen. Wenn nun aber die Liebezwischen den beiden so groß, das Reden so gut ist, dann bleibt am Ende doch dieFrage, warum sich Nicola dem neuen Freund und Ermittler so gar nicht anvertrauenkann, bevor sie in den Tod stürzt.

Die Umstände dieses Falls sind dann Beschäftigung fürs langeFinale. Es gilt, die Rosanelli zu überführen: als Frau am Steuer des Wagens,der Peer Schwarz umgefahren hat, und als diejenige, die in einer Gemengelageaus Streit und Sorge die angetrunkene Nicola Koch über die Balkonbrüstunggeschubst hatte. In der Verlosung für die zweite Tat befindet sich nämlich auchnoch Larissa Krüger (Katja Hutko), eine der missbrauchten jungen Frauen, denendie Rosanelli mit ihrem Projekt geholfen hat.

Für den psychologischen Stress von Larissa, die Abhängigkeitvon der Rosanelli, die hier zum Ausdruck kommen soll, ist die Figur allerdingszu oberflächlich entworfen – ähnlich wie Nicola Kochs Schweigen gegenüberBallauf. Routine regiert, auch auf Ebene der Regie (Torsten C. Fischer): DieCharaktere haben Funktionen für die Geschichte, aus denen sie nicht rauskommen– so richtig nah geht einem da niemand.

Das liegt im Falle der Schauplatz-Hauptdarsteller auch amSpiel – Klaus J. Behrendt und Dietmar Schenk tragen sympathische Gesichter, diejene Vertrautheit vermitteln, von der der Kölner Tatort lebt. DieDarstellung von Schmerz, Schock, Verlust bei Behrendt oder das Sorgen um denKollegen bei Schenk gelingt derweil nicht sonderlich differenziert odereigensinnig.

Immerhin: Assistent Jütte (Roland Riebeling) trägt das Haarpietätvollerweise schwarz in dieser Folge.

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